Leonhard_E Juli 26, 2016 · bearbeitet Dezember 28, 2016 von Leonhard_E Investieren für Einsteiger Es scheinen sich die folgenden Fragen über zahlreiche Threads herauskristallisiert zu haben. Vor dem Stellen einer neuen Frage sollten die folgenden Aspekte betrachtet werden und die entsprechenden Threads durchgearbeitet werden. Generell sollten alle Sticky Threads in diesem Forum vor dem Stellen einer Frage durchgearbeitet werden. Das dauert seine Zeit, aber das ist es definitiv wert. Hier bitte keine Kommentare und Fragen posten, für diese gibt es den Thread Diskussion zu: Investieren für Einsteiger. 1. Existentielle Risiken absichern Bevor auch nur der erste Euro langfristig angelegt wird, gilt es, sich gegen existentielle Risiken zu versichern. Das ist mindestens eine Berufsunfähigkeitsversicherung (BU) und eine Private-Haftpflicht-Versicherung (PHV). Genaueres hier: Personen und Sachversicherungen im Überblick 2. Liquiditätsreserve schaffen Um auf die Unwägbarkeiten des Lebens vorbereitet zu sein, ist ein finanzielles Notpolster unerlässlich. Daher wird im Allgemeinen empfohlen, vollkommen getrennt von allen Anlagen eine schnell zugängliche Liquiditätsreserve zu halten. In der Regel wird das ein Tagesgeldkonto oder ähnliches sein. Die Höhe der Reserve ist individuell zu bestimmen. Als Faustformel wird hier von drei bis sechs Netto-Monatsgehältern ausgegangen. Der Notgroschen wird vollkommen getrennt von allen Anlageformen betrachtet. (diese Faustformel stellt selbstredend nur eine grobe Orientierung dar. Wenn man über hohe finanzielle Mittel verfügt, muss die Reserve deswegen nicht automatisch äquivalent hoch sein) 3. Grundlagen-Threads lesen Sehr häufig wird einfach einmal "drauf los" gefragt, ohne zumindest die absoluten Einsteiger-Threads gelesen zu haben. Bitte diesen Ramstein-Thread durcharbeiten: Informationen für neue Nutzer 4. Schulden / Kredite tilgen Solange man noch Kredite tilgt oder anderweitige Schulden bedient, ist es in den meisten Fällen nicht sinnvoll, sein Geld in riskante Anlagen zu investieren. Das entspricht im Wesentlichen einer Anlage "auf Pump" und birgt damit enorme Risiken bis zur Gefährung der finanziellen Zukunft. Das ist unbedingt zu vermeiden! Natürlich kann es unter bestimmten Umständen dennoch sinnvoll sein, dass man trotz eines Kredites eine ETF-Anlage beginnt. Dies gilt insbesondere, wenn: - eine bestehende Sondertilgung bereits in vollem Umfang ausgeschöpft wird - der Kredit auf 0 ausläuft - das Geld unabhängig von der Anlage für eine Ablösung des Kredits bereits vorhanden ist Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass damit die Fragilität des Gesamt-Engagements steigt. Genauer dargestellt: a) Wer das meiste Eigenkapital für eine Immobilie mitbringt, bekommt die besten Konditionen bei der Bank. b) Der Schuldzins ist stets höher als der risikoarme Zins, daher ist die beste risikoarme Anlage die Tilgung von Schulden. c) Wenn man einerseits einen Kredit bedient, und andererseits in Aktien investiert, kann man sagen, dass man "auf Pump" spekuliert. Diese beiden Dinge sollte man unbedingt auseinanderhalten. Im Zweifelsfall sind die Aktienmärkte gerade abgestürzt, man verliert die Arbeit und hat einen großen laufenden Kredit, den man nicht mehr bedienen kann. Etwas überspitzt formuliert: Das ist der Weg in die Privatinsolvenz, am Ende steht man ohne Aktien und ohne Immobilie da. 5. Eigene Situation beurteilen Hier kommt es wirklich sehr auf die individuellen Umstände an. Plant man in wenigen Jahren ein Eigenheim zu erwerben? Plant man in nächster Zeit eine Familie zu gründen? Stehen größere, nicht genau planbare Veränderungen in nächster Zeit an? In diesem Fall sollte man von einem Aktien-Investment vermutlich eher Abstand nehmen. Man sollte davon ausgehen können, dass man das investierte Geld in den nächsten 10 Jahren nicht braucht. 6. Asset Allokation durchführen Je nach Lebensumständen und Risikobereitschaft macht es Sinn, sich erst einmal grundlegende Gedanken zu machen, wie man seine Geldanlage verteilen soll. Eine Aufteilung in einen sicheren Anteil und einen riskanteren Anteil ist zwingend erforderlich, um eine langfristig sinnvolle Anlage zu schaffen. Die Meinungen gehen hier auseinander. Manche sagen: Aktienquote = 100 - Lebensalter. Andere sagen: Mindestens 25% Aktien, damit man einen Effekt davon verspürt. Definitiv überschätzt jeder Anfänger seine Risikotragfähigkeit. Man muss immer damit rechnen, dass der riskante Anteil 50% an Wert verliert und man nicht "rechtzeitig" reagiert. Die Idee dabei ist denkbar einfach: Wählt man z.B. eine Aufteilung zu 50% Aktien (ETFs) und zu 50% in sichere Anlagen, ist man im Fall eines Aktiencrashs nicht so sehr belastet. Beispielhafte Rechnung "Aktiencrash mit 50% Wertverlust": Man hat 10.000 Euro angelegt, je zu 50% in Aktien-ETF und 50% in eine Festgeldleiter. Also hat man mit dieser Aufteilung nach dem Crash trotzdem noch 75% des Wertes, d.h. 7.500 Euro. Man verliert also nur 25% des Wertes. Auf diese Weise steuert man das persönliche Risiko und kann seine eigene Verlustgrenze beeinflussen. (Der Vollständigkeit halber ist auch noch zu erwähnen, dass man im Falle von Kurssteigerungen weniger profitiert. Jedoch ist die Begrenzung des Risikos vorrangig. Hat man das ganze Kapital in Anlagen investiert, hätte man bei einer 50% Kurssteigerung im Beispiel 15.000 Euro, bei einer 50% / 50% Aufteilung jedoch "lediglich" 12.500 Euro) Sehr gute Erklärungen auch unter dem Gesichtspunkt der Altersvorsorge findet man hier: Die Mischung macht's Eine Vertiefung zur Asset Allokation gibt es auch hier: Aktienquote 100 - Lebensalter? Für Fortgeschrittene ist zu empfehlen: Deduktiver Ansatz zur Portfolioallokation Wichtig ist, ein Verhältnis zu finden, bei dem man sich wohl fühlt und nachts noch gut schläft. 7. ETF-Strategie auswählen Es gibt verschiedene Strategien, die man wählen kann. Diese sind mehr als ausreichend dokumentiert und diskutiert. Grundsätzlich läuft es auf die folgende Frage hinaus: Die Wahl der individuellen ETF-Strategie hängt auch davon ab, wieviel Kapital hier investiert werden soll. Je weniger Kapital, desto weniger ETFs könnte man hier sagen. Hier gibt es einen Überblick: ETF-Depot aufbauen Es gibt steuerliche Gesichtspunkte, die man bei der Auswahl eines ETFs unbedingt beachten sollte. Eine Erklärung dazu, sowie eine Auswahl an ETFs findet man hier: Steuerstatus und Trackingdifferenzen von Aktien-ETFs auf Standardindizes (Meine persönliche Meinung: dieser Thread sollte dringend als Sticky in den Fondsbereich aufgenommen werden) Graphisch aufbereitet sind verschiedene Indexkombinationen hier: Verschiedene Indexkombinationen Unweigerlich stösst man auch auf Gewichtung nach Marktkapitalisierung und BIP, wichtige Informationen findet man hier: BIP-gewichtete ETF-Anlage inkl. SC Anfänger kommen auch immer wieder auf die Idee, in Dividenden den heiligen Gral gefunden zu haben. Hierzu empfielt sich die Lektüre von: Was taugen Dividendenstrategien? Es gibt neben ETFs noch weitere Möglichkeiten der Aktienanlage. Allerdings sind ETFs am besten für Einsteiger geeignet, für alle anderen Formen braucht man deutlich mehr Zeit und Kapital oder diese haben andere Nachteile (höhere Kosten bei gewöhnlich niedrigerer Performance). 8. Sichere Anlage-Strategie auswählen Der sichere Anteil stellt einen Ruhepol in der Anlage dar. Hierauf sollte man sich verlassen können. Es kommen unterschiedliche Produkte zur Auswahl in Frage. Neben Festgeldern und Tagesgeld auch Sparpläne. Eine schöne Diskussion der Möglichkeiten gibt es hier: "Sicherer" Anteil des Depots Weiterhin werden in zahlreichen Blogs und Anlage-Vorschlägen Anleihen als "Sichere Anlage" propagiert. In der Regel sind das Staatsanleihen mit AAA-Rating, beispielsweise von Deutschland. Dabei gibt es jedoch das Problem, dass diese derzeit eine negative Rendite aufweisen. Der Forenkonsens ist hier eindeutig, dass eine Festgeld- / Sparbrief-Leiter deutlich sinnvoller ist. Zumindest bis es Änderungen an den Leitzinsen gibt. Eine Diskussion dazu findet sich hier: Anleihen Basics, insbesondere Beitrag #3 Anlage durchführen Nach dem Durcharbeiten dieser Threads hat man eine einigermaßen solide Basis. Die meisten wollen noch die Standardlektüre lesen, bevor sie sich trauen. Zumindest ist man jetzt kein absoluter Laie mehr. 9. Periodische Strategieprüfung a) Kurzperiodische Prüfung, Rebalancing Von Zeit zu Zeit sollte man prüfen, inwieweit die gewählte Strategie den eigenen Ansprüchen genügt. Gerd Kommer sagt dazu in seinem Buch "Souverän investieren mit Indexfonds und ETFs", dass man innerhalb von 18 Monaten die gewählte Gewichtung erreichen sollte. Viele führen jedoch mindestens ein- oder zweimal im Jahr ein Rebalancing durch. Genaueres findet sich hierzu in Warum ist Rebalancing so wichtig? Mit zunehmendem Anlage-Kapital will man eventuell auch die Strategie verfeinern und zum Beispiel Small Caps beimischen, wie in dem Thread Depotstrategie diskutiert. b) Langperiodische Prüfung, Anpassung der Gewichtung Auch im Laufe des Lebens wird man aufgrund eines zunehmenden Sicherheitsbedürfnisses die Gewichtung von riskanteren auf risikoärmere Anlage umschichten wollen. Hierfür sollte man nicht zu rigide vorgehen, sprich zum Beispiel nur alle 5-10 Jahre das Verhältnis aus risikoarmer zu risikobehafteter Anlage prüfen. Mit einem "100 - Lebensalter" Ansatz lässt sich das Verhältnis in dieser Form darstellen: Hier bitte keine Kommentare und Fragen. Diese bitte im Thread Diskussion zu: Investieren für Einsteiger posten. ----------------------------- Historie: 20.07.16: Änderungen zur Liquiditätsreserve eingearbeitet. 20.07.16: Anleihen im Bereich der Sicheren Anlage erwähnt. 20.07.16: Versuch die Sonderbedingungen anzugeben, bei denen trotz Kredit eine ETF Anlage sinnvoll erscheint. 20.07.16: Erklärungen zur Assetallokation hinzugefügt. Hinweis zur Liquditätsreserve hinzugefügt. 21.07.16: Link angepasst, Formatierung und Rechtschreibung 26.07.16: Weitere Kommentare eingearbeitet, Aufteilung in Diskussion und Wegweiser 29.07.16: Wichtige qualitative Verbesserungen (Bindestriche bei ETF-Strategie) 16.12.16: Kapitel 4 wegen Immobilien genauer dargestellt 16.12.16: Kapitel 9 "Periodische Strategieprüfung" hinzugefügt 28.12.16: Überarbeitung (vorwiegend Rechtschreibung und Satzbau), Danke an Schildkröte! Diesen Beitrag teilen Link zum Beitrag